Flugdebatte 2019: Same same but different

Frau steht Flughafen wohin Kaffeebecher Tafel anschauen Fragen

Alle Jahre wieder: Die Debatten ums Fliegen um die Sommerzeit kommen so verlässlich wie der Schoki-Nikolaus in die Supermarktregale im September. Doch leider hat sich trotz der immer wiederkehrenden Diskussionen bislang wenig getan im Bereich klimafreundlich Reisen. Dieses Jahr jedoch hat die Generation Klimastreik etwas ins Rollen gebracht: «Flugscham» ist in der Gesellschaft angekommen – auch bei mir.

Es ist natürlich keine Neuigkeit: Fliegen ist schädlich fürs Klima! Aber egal, wie klimabewusst man in anderen Teilen seines Lebens ist, irgendwie war es bis zuletzt auch in den «grüneren Kreisen» akzeptiert, dass Fliegen irgendwie dazugehört.

Die Erklärung dafür ist eigentlich ganz simpel. Gerade in der Szene der «modernen, offenen, klimabewussten Menschen» (zu der ich mich zähle) ist es akzeptiert, wenn nicht sogar gewünscht, sich mit anderen Kulturen, Ländern und Leuten auseinanderzusetzen. Weltenbummeln scheint damit beinahe eine Pflichtübung zu sein.

Während ich in den letzten Jahren mein regionales, saisonales Gemüse also brav auf dem Wochenmarkt einkaufen ging und dem Klimawegen auf Fleisch und Fisch verzichtete, plante ich immer noch regelmässig Trips in die Ferne, um beispielsweise auf einer Tee-Plantage in Vietnam bei der Ernte zu helfen. Paradox – ich weiss!

Diese zwei vollständig widersprüchlichen Lebensstile lieferten sich seither ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Weltenbummlerei vs. Klimaschutz. Über Jahre schien es keinen Gewinner zu geben.

Während sich meine und die vorigen Generationen wohl im Klaren waren, dass der Klimaschutz wichtiger ist als die Weltenbummlerei, konnten wir sie doch nicht sein lassen. Viel zu verlockend und profilierend war es, in der Kantine mit Arbeitskollegen, in der Bar mit Freunden oder beim Familienfest vom 3-wöchigen Fussmarsch um das Annapurna Massiv zu erzählen oder vom Abenteuer wie man wegen tropischen Regenfällen zwei Wochen bei einer bolivianischen Familie in einer Hütte übernachten durfte.

Dieses Jahr – 2019 – ist jedoch alles andere. Die Klimastreik-Bewegung hat ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis losgetreten. Die Generation nach mir – nach uns – hat sich entschieden:

Klimaschutz ist klar wichtiger als Weltenbummlerei. Reisen soll man natürlich noch, aber dann wie Greta mit dem Zug oder mit dem Elektroauto.

Wenn ich die Massen an demonstrierenden Jugendlichen weltweit auf der Strasse sehe, überkommt mich ein leichtes Schamgefühl, wenn ich an meine vergangenen Reisen denke, die ich meist mit dem Flieger begonnen und beendet habe. Oh, stimmt, wartet, dafür gibt es ja seit Neustem ein Wort: «Flugscham». Ja, genau das überkommt mich.

Ich checke mal wieder die Fakten. Was ich mir sonst irgendwie schönreden konnte, wirkt nun sehr bedrückend: Fliegen ist und bleibt Klima-Killer Nummer 1. Die Fakten sprechen für sich: «Ein einziger Urlaubsflug kann das Klima stärker aufheizen als ein Jahr lang Auto fahren und das Haus mit Erdöl heizen zusammen. (…) Die Fliegerei ist weltweit für knapp fünf Prozent des menschengemachten Klimaeffekts verantwortlich, in der Schweiz sogar für über 18 Prozent», schreibt der WWF Schweiz.

Ich lese auch gleich mal über die Forderung der Klimastreik-Bewegung Schweiz. Sie fordert die netto null Treibhausgasemission im Inland bis 2030. Ein echt ehrgeiziges Ziel, das tatsächlich nur zu schaffen ist, wenn die Schweiz ihr Flugverhalten radikal ändert. Denn die Schweiz ist ein Vielfliegerland, wo im Schnitt jeder Bewohner rund 9000km pro Jahr im Flugzeug zurücklegt (WWF Schweiz). Ich frage mich, ist das nicht ein aussichtsloses Unterfangen? Wie kann man hier, in diesem Flugreise-verrückten-Land, eine Verhaltensänderung erreichen?

Ja, es scheint vielleicht aussichtlos. Aber meiner Meinung nach war die Ausganslage auch noch nie so gut wie heute. Die Forderung nach einem grüneren, nachhaltigen und klimabewussten Dasein kommt dieses Mal nicht von radikalen Öko-Aktivisten oder von selbstdarstellenden Politikern. Nein, sie kommt von den «Kindern» und der «Jugend», von den Menschen, die diesen Planeten von uns übernehmen sollen. Die Botschaft ist klar: «Ihr spielt mit unserer Zukunft. Was ist wichtiger: Euer Spass oder unser Leben?»

Wer kann da noch mit ruhigem Gewissen sagen, ist mir doch egal?

Und tatsächlich, es bewegt sich etwas. Die Forderungen der Jugend finden Gehör. Das Thema Klimaschutz wird nun endlich ernsthaft diskutiert: Am Familientisch, bei der Arbeit, im Gemeindezentrum und in der Schule.

Und auf die Diskussionen folgen bereits Taten: Der Zürcher Gemeinderat plädiert für ein Flugverbot für Stadtangestellte für Strecken, wo es ökologisch sinnvolle Alternativen gibt; Viele Maturanden reisten in ihre Maturareise dieses Jahr bewusst mit dem Zug; Und immer mehr Schulen diskutieren über die Einführung eines allgemeinen Flugverbots für Schulaktivitäten oder möchten Klimaschutz im Schulalltag integrieren, indem sie bspw. «Klimaschule» werden.

Für mich ist es logisch, dass die ersten verbindlichen Umsetzungen des Klimastreiks dort beginnen, wo Schülerinnen und Schüler ihren Lebensmittelpunkt haben: Nämlich, zuhause und in der Schule.

Jugendliche können im Unterricht über Nachhaltigkeit lernen und im Schulleben praktisch erfahren, wie aktiver Klimaschutz geht, indem sie bspw. auf Flugreisen verzichten. Geht es noch besser für die Generation Klimastreik?

Schulen sind zudem soziale Knotenpunkte und verbinden alle Schichten und Generationen in der Gesellschaft. Wo könnte man also besser eine gesamtgesellschaftliche Bewegung beginnen als dort?

Dass sich immer mehr Schweizer Schulen für Flugverbote einsetzen, nehme ich deshalb als gutes Zeichen. Als Zeichen dafür, dass der Klimaschutz auf dem Weg ist inmitten der Gesellschaft anzukommen.

Ich kann mir vorstellen, dass es dieses Jahr deutlich mehr Diskussionen zum Thema Anreise in den Sommerurlaub an den Schweizer Familientischen gibt als sonst. Viel lässt sich noch nicht sagen, ausser dass das Klima mit der Generation Klimastreik einen starken Mitspieler gewonnen hat. Es steht: Klimaschutz 1: Weltenbummlerei 0. Ein erster Sieg!

Bild 1: Frau vor Anzeige
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Bild 2: Flugzeug auf Startbahn
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Bild 3: Plakat beim Klimastreik
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Bild 4: Schulzimmer mit Banner
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